Prozess von Agrigent: Nein zum Delikt der Solidarität
Vor dem Gericht von Agrigent (Sizilien) müssen seit dem 22. August sieben tunesische Fischer erscheinen, die angeklagt sind, "illegale Einwanderung gefördert" zu haben. Sie riskieren bis zu 15 Jahren Gefängnis. Verfolgt als seien sie Menschenhändler, haben die Fischer tatsächlich nur die elementarste Pflicht der Solidarität erfüllt: am 8. August, in der Nähe der Insel Lampedusa, haben sie 44 Passagieren eines in Seeenot befindlichen Flüchtlingsboots Hilfe geleistet und sie zum Ufer geleitet. Ohne ihre Intervention ist es wahrscheinlich, dass die Schiffbrüchigen, unter ihnen zwei schwangere Frauen und zwei Kinder, dasselbe Schicksal erlitten hätten wie Tausende von MigrantInnen und Flüchtlingen, die seit einigen Jahren im Meer ertrunken sind beim Versuch, die europäischen Küsten zu erreichen.
Der Prozess von Agrigent ist eine neue Episode im Krieg, der durch die Europäische Union gegen die MigrantInnen und Flüchtlinge geführt wird. Nach der Militarisierung der andalusischen Küste, nach den dramatischen Ereignissen von Ceuta und Melilla im Jahr 2005, in deren Verlauf mehrere Menschen den Tod fanden durch Schüsse der marokkanischen Polizei dafür, dass sie versucht hatten, die spanische Grenze zu überwinden, nach der Abriegelung der mauretanischen und senegalesischen Küsten, um die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln zu verhindern, nach den Abschiebelagern, wo, wie in Libyen, die Rechte der MigrantInnen und Flüchtlinge mit Füßen getreten werden, ist es heute die Waffe der Abschreckung, die geschwungen wird. Indem die Hilfe für Menschen in Gefahr bestraft wird, veranlassen die italienischen Behörden die Seeleute und Fischer dazu, das internationale Seerecht zu verletzen, das vorschreibt, alles in seinen Kräften Stehende zu tun für die Rettung von Schiffen in Seenot. Aber das ist noch nicht alles: Indem sie Rettungsaktionen verbieten, machen sie sich - im besten Fall - verantwortlich für das Zurückschicken in Länder, wo die Rechte von Menschen, die Schutz brauchen, nicht respektiert werden. Im schlechtesten Fall verurteilen sie Frauen, Männer und Kinder, die kein anderes Vergehen begangen haben als eine bessere Existenz für sich zu suchen oder manchmal gar zu versuchen, ihr Leben zu retten, zum Tode.
Als Versuchslabor der EU-Migrationspolitik hat Italien im Jahr 2005 mit Charterflügen Hunderte von MigrantInnen in libysche Gefängisse abgeschoben. Heute verbietet es ihnen den Zutritt zu seinen Küsten, womit es sich einreiht in die Logik der Externalisierung durch Europa zur Kontrolle seiner Grenzen, wofür die europäische Agentur Frontex ein bezeichnendes Symbol ist.
AkteurInnen der Zivilgesellschaften des subsaharischen Afrikas, Nordafrikas und Europas, AktivistInnen und DemokratInnen südlich und nördlich des Mittelmeers,
– wir fordern die Zurückweisung der von Sicherheitsdenken und Repression bestimmten Ideologie, die heute die Migrationspolitik bestimmt durch die Externalisierung des Asyls und der Grenzkontrollen sowie die Kriminalisierung der Migration,
– wir lehnen es ab, dass ein "Delikt der Solidarität" gegen Verteidiger der Menschenrechte eingeführt wird,
– wir fordern die Freilassung der sieben tunesischen Fischer der Boote Mortadha und Mohammed el-Hedi.
zu unterzeichnen: Claire Rodier