Illegale Emigration“: Ein Begriff, den es abzuschaffen gilt
Kolummne erschienen in der Zeitung „Libération“ am 13. Juni 2006, unterzeichnet von Claire Rodier, Präsidentin des Netzwerkes Migreurop
In den Medien und bei einigen Politikern schleicht sich mehr und mehr eine gewisse Redeweise ein: Es ist die Bezeichnung der „illegalen Emigration“. Man verwendet sie viel seit einigen Tagen, für jene Afrikaner die, durch die Wüste und dann über das Meer, versuchen, das Unbekannte zu durchqueren um die europäische Küste zu erreichen.
Die Bezeichnung „illegale Emigration“ alarmiert uns, wegen der darin anklingenden unheilvollen Zeiten. Sie ist nicht neu, denn schon am 24.Juni 2002 titelte Le Monde: „Les Quinze ne sanctionneront pas les pays d’émigraion illegale“ (Die Fünfzehn (Mitgliedstaaten der EU) werden die Länder illegaler Emigration nicht sanktioneren). Kurze Zeit später verkündet die marokkanische Regierung das Gesetz Nummer 02-03 des 11.Novembers 2003, ein Gesetzt „bezüglich des Zugangs und des Aufenthalts der Ausländer in Marokko und bezüglich der illegalen Immigration und Emigration“. Nach Artikel 50 bis 52 jenes Gesetzes wird jeder, der das marokkanische Territorium auf illegale Art und Weise verlässt oder Beihilfe dafür leistet, streng bestraft (bis zu 20 Jahre Freiheitsstrafe). Und tatsächlich, durch die Europäische Union dazu gedrängt, hat Marokko es sich angewöhnt, ausreisenden Bürger nach zu jagen, was während der Ereignisse in Ceuta und Melilla im Herbst 2005 mit 15 Toten durch Schussverletzungen endete.
Heute verbreitet sich die Bezeichnung der illegalen Emigration und verwandelt dadurch das bloße Losziehen, Sich auf den Weg machen in eine sträfliche Tat. Die Verwendung der Bezeichnung hat soeben die Unterstützung durch die Konferenz der Innenminister des Westlichen Mittelmeeraumes (CIMO) erhalten, die am 11. und 12. Mai 2006 in Nizza statt fand, unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys. So wurde in diesem Rahmen eine Pressemitteilung verfasst, „welche die Bemühungen der Länder an der südlichen Mittelmeerküste, illegale Emigration zu unterbinden, sehr begrüßt“. Weiter südlich haben die senegalesischen Behörden soeben verkündet, dass sie auf ihrem eigenen Territorium mehr als 1500 „Kandidaten illegaler Emigration“ verhaftet haben, welche die Kanarischen Inseln in Fischerbooten erreichen wollten (AFP, 22. Mai 2006).
Dennoch ist weder die Idee legitim, aus dem Emigranten einen Kriminellen zu machen, noch sind es die Praktiken, die diese Idee nach sich zieht. Und dies vor dem Hintergrund eines Textes von 1948, dem sich alle Mitgliedsstaaten der UNO verpflichtet haben, zuzustimmen. So heißt es im Artikel 13 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (DUDH): „Jede Person hat das Recht jedes Land zu verlassen, inklusive das seinige, und in sein Land zurückzukehren“. Dieses Recht wurde von verschiedenen internationalen Texten mit zwingender Wirkung bestätigt, wie zum Beispiel vom Internationalen Pakt bezüglich der zivilen und politischen Rechte aus dem Jahre 1966. So kann nur die Einwanderung in ein Land illegal sein, unterliegt doch der Zutritt zum Territorium unter der Souveränitätshoheit des jeweiligen Staates. Wie so oft etablierte sich die Idee der „illegalen Emigration“ mit Hilfe einer fadenscheinigen Gleichssetzung, denn natürlich verliert jeder Reisende seine Rechte, wenn kein einziges Land bereit ist, ihn aufzunehmen.
Die Kriminalisierung des Migranten ist an sich sicherlich nichts Neues. Aber es war auf die Länder beschränkt, die sich an dem sovietischen Modell orientierten, wo es als natürlich gilt, aus Sichtweite auf Emigranten zu schießen, da diese als Fahnenflüchtlinge angesehen werden – verschiedene autoritäre Regime haben sich davon inspirieren lassen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat genau in diesem Zusammenhang Anwendung gefunden: „illegal“ in seinem Heimatland, wurde der Emigrant ein willkommener Einwanderer in dem Gastland. Durch die Ironie der (politischen) Geschichte, wird dieser gleiche Verweis auf eine Illegalität bei Verlassen des Landes heutzutage als eine Sünde für unsere Gastfreundschaft interpretiert. Und die universellen juristischen Prinzipien verschwinden in der Versenkung.
In Wirklichkeit ein rassistischer Wählerfang, versteckt die Erfindung eines solchen Vokabulars eine Mauschelei. Auf der Seite der Europäischen Union macht man aus seinen Großzügigkeiten Geld, geschickt jedes Mal getauft als „Hilfe zur Überwachung der Grenzen“, „Entwicklungshilfe“. Auf der Seite der unterdrückten Länder gibt es ein Überbieten, wer der beste Schüler der Europäischen Union sein wird, die von nun an nicht mehr verheimlicht, dass sie ihre Pfründe an die Anwärter je nach deren Kapazitäten verteilt, die Migrationsströme einzudämmen. So beschwert man sich in Rabat, dass die vierzig Millonen Euro, die von der EU für diese Sache versprochen wurden, immer noch nicht überwiesen wurden, trotz der Bemühungen der Polizei und der marokkanischen Armee, die „illegalen“ Flüchtlingsströme gen Norden zu stoppen. Und man weiß, dass die Drohung Libyens 2005, zwei Millionen Migranten auf Italien loszulassen, den Zweck hatte, Anerkennung und finanzielle Unterstützung durch Amerika und Europa zu erhalten – was auch eintrat. Mehr denn je scheint die Strategie der „Geldschublade“ Erfolg zu haben, und man drängelt an den Schaltern der EU. Sich an die Spanier richtend, die ihm ihre auf den Kanarischen Inseln gestrandeten Boat People zurück schicken möchten, lässt der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade verlauten, um nicht hinten an zu stehen: „Mögen sie sie mir zurückschicken, aber dann sollen sie mir auch etwas geben – Geld für die Bewässerung“ (Journal du Dimanche, 21 mai 2006).
In Wirklichkeit sind die europäischen und afrikanischen Regierungen dabei, ein Konzept durchzusetzen, welches keinerlei juristische Grundlage hat und nur zu dem Zweck dient, gegen die illegale Einwanderung zu kämpfen. Was am meisten beunruhigt, ist diese sich ankündigende rückläufige Entwicklung hin zu einem System, welches die Ausgrenzung der Unerwünschten generalisiert, in dem es ein bisschen an allen Stellen auf eine Abschottung zurückgreift: auf der einen Seite das Refugium der reichen Länder, auf der anderen Seite eine Zone, aus der es verboten ist, heraus zu gehen, und die einem großen Camp gleicht. Und am Ende konstruiert sich ein Europa, auf der Grundlage von wachsender Gewalt an seinen Rändern. In der Zwischenzeit breitet sich in den Ländern, welche sich genau im Zentrum dieser Konfrontation befinden, ein Rassismus aus, der von den herrschenden Ländern angefacht wird, insbesondere gegenüber den Migranten aus Schwarzafrika, die in die Falle einer Unterbrechung ihrer Migrationsrouten tappen. Die Stigmatisierung einer angeblichen „illegalen Emigration“ trägt dazu bei, das Arsenal an Polizei in den Ländern zu verstärken, die wohl oder übel mit der europäischen Politik zusammenarbeiten, dessen Ziel es ist, Ausländer auf Distanz zu halten.